Wie kommt man überhaupt auf die Idee, sich mit Micro Expressions zu beschäftigen?

Geschrieben von JuergenStephan am 29. Januar 2019 09:13 Uhr

    

Wie kommt man überhaupt auf die Idee, sich mit Micro Expressions zu beschäftigen?

 

Bereits bei der Polizei, der Bundeswehr und als Personalentwickler bei einem großen Elektronikkonzern hatte ich immer wieder sehr viel Kontakt mit Menschen. Ich interessierte mich immer für deren Körpersprache und deren Verhalten. Durch weitere Fortbildungen in diesem Bereich kam ich dann zu den verschiedenen Verhaltensmodellen von Menschen. Dies war für mich in der Gänze jedoch unbefriedigend, weil ein Körperteil gar nicht beachtet wurde – das Gesicht. So machte ich mich daran nachzuforschen was es denn da gibt. So stieß ich dann auf Paul Ekman, seine Forschungen und die Möglichkeit mein Wissen zu komplettieren. Ich ließ mich in den USA zertifizieren und bin eben seither mit dieser Technik in Deutschland unterwegs. Das nun seit über 20 Jahren.

In welchen Bereichen des Lebens kann man diese Techniken anwenden?

Normalerweise in allen. Nichts ist interessanter und vor allem auch wichtig, ein wenig hinter die Fassade blicken zu können, die Menschen errichten. Jeder Mensch versucht mittels einer Fassade, sein wahres Gesicht zu verstecken und versucht uns dadurch zu täuschen. Das ist völlig normal und wird auch sehr schön im „Johari Fenster" beschrieben. In meiner früheren Tätigkeit als Geschäftsführer, setzte ich diese Technik bei der Personalauswahl und bei der Ausbildung der Mitarbeiter ein. Konkrete Einsatzmöglichkeiten sind: HR Manager, Recruiter, Personalverantwortliche, Verkäufer Kreditsachbearbeiter und -entscheider u.v.m.

Was hat man konkret als Verkäufer von den Micro-Expressions? Wie sicher sind die Rückschlüsse, die man aus dem Gesicht ziehen kann?

Viele Menschen sind von Hause aus professionelle Täuscher – zumindest glauben das die meisten. Das Geschäftsleben ist zu einem sehr großen Teil Tarnen und Täuschen. Der weit größere Teil, so finde ich, ist die Psychologie. Etwa 93% unserer täglichen Kommunikation ist Körpersprache. Nur etwa 7% beziehen sich auf Zahlen, Daten und Fakten. Es gehört seit Urzeiten zu unserer Natur, dass wir nonverbal kommunizieren. Und das haben wir immer noch in uns. Das wieder zu lernen oder es zu erkennen was mein Gegenüber mir sagt – das ist die Kunst die man aber wieder erlernen kann. Bei Gesprächen beobachten wir immer wieder dasselbe: Was sagt der Gegner, wie viel setzt er ein, sein Ziel zu erreichen, warum tut er das, wieso geht er mit, usw. Und das ist immer Psychologie.

Empathische Menschen spielen dieses Spiel hervorragend und sehr erfolgreich. Die Klaviatur der Verhandlungen und der verbalen Winkelzüge beherrschen die meisten Verkäufer. Doch gibt es wesentlich effektivere Wege sein Ziel, mehr Umsatz, zu erreichen. Stellen Sie sich vor, bereits bevor ein Kunde etwas sagt, können sie schon sehen, was dieser denkt oder fühlt. Es sind Nuancen im Gesicht, die erkennen lassen, welche Gefühle gerade vorherrschen. Und das kann jeder lernen, der eine hohe Beobachtungsgabe, Interesse an Menschen und an der Körpersprache hat. Im Übrigen ist diese Technik schnell zu erlernen, bedarf aber dann viel Übung. Die Trefferquote, bei sehr guten Verkäufern kann nahe 98% liegen.

Wie unterscheidet man Eigenheiten oder Tics von Menschen, also etwa das Zucken der Mundwinkel oder Stirnrunzeln von echten Gefühlen, die sich im Gesicht widerspiegeln?

Im FACS gibt es eine sehr wichtige Technik. Das Norming. Es wird jemand erst einmal beobachtet, was der normalerweise für ein Verhalten zweigt. Dann habe ich einen Richtwert. Habe ich die Möglichkeit mit jemandem zu sprechen, könnte man beispielsweise belanglose Dinge reden. Den Verkehr, das Wetter oder politische Dinge des Lebens. Jetzt, wenn man die Norm hat, sitzt man ihm gegenüber und beobachtet. Jetzt sind Reaktionen sichtbar, falls ihn emotional etwas bewegt.

Ticks die im Interview oder im vorangegangenen Gespräch beobachtet werden konnten sind jetzt gefiltert und von den echten Emotionen zu unterscheiden.

Ist jede Emotion, die man sieht, glaubhaft? Oder gibt es Menschen, deren Psyche ein wenig anders funktioniert, sodass sie sozusagen die falsche Emotion widerspiegeln?

Paul Ekman hat die Universalität von Emotionen untersucht und nachgewiesen, dass diese weltweit gleich sind. Wichtig ist jedoch, dass die Deutung von Emotionen eine andere sein kann. Ein Beispiel. Ekman berichtet in seinen Büchern darüber, dass im Dschungel, wo er fast 2 Jahre forschte, die Eingeborenen ganz aufgeregt waren. Er sah Freude und Überraschung in den Gesichtern. Die Eingeborenen freuten sich über die Sichtung eines Tigers, den sie nun jagen könnten. Einem Mitteleuropäer für die Angst ins Gesicht geschrieben stehen. Bei denen war es eben die Freude.

Asiaten beispielsweise zeigen auch Emotionen. Jedoch bei weitem nicht so ausgeprägt wie in unserem Kulturkreis. Es ist nicht „schick" Emotionen zu zeigen – doch sie sind da!

Dann gibt es noch die Gruppe der psychisch kranken Menschen. Diese empfinden beispielsweise bei abnormen Bildern keine für uns sozialtypischen Verhaltensnormen. Sie empfinden bei diesen Bilder vielleicht Freude oder sind sogar positiv erregt. Und dieses Verhalten ist bei einem Soziopathen zu beobachten. Doch diese sind kein Fall mehr für mich, sondern für die Psychiatrie.

Gibt es Möglichkeiten, die eigene Gesichtsmimik so zu beeinflussen, dass man für den anderen undurchschaubar wird?

Wie bereits erwähnt gibt es sehr professionelle Lügner. Menschen die keine Emotion dabei empfinden anderen Menschen ins Gesicht zu lügen. Das ist nicht normal, kommt jedoch häufig vor. Wenn mein eigenes Wertesystem Unrecht nicht erkennt, werde ich auch nicht „normal „ reagieren. Wenn ein Mensch seine eigene Lüge, bzw. sein Gebilde, das er sich aufgebaut hat, als seine Wahrheit empfindet und auch so sieht, dann wird er ja nicht Lügen. Er ist so in seiner Wahrheit gefangen, dass er so reagieren wird, wie es wäre wenn er die Wahrheit sagt.

Geheimagenten wurde früher eine falsche Identität gegeben. Diese Menschen lebten jahrelang unter falschem Namen und falschen Berufen. Viele wurden nie gefangen, da die Realität für sie die war, in der sie gerade lebten.

Wie kann man als Laie lernen, diese Gesichtsausdrücke zu lesen?

Jeder kann lernen Emotionen zu lesen. Wichtig dabei ist dass der gesamte Körper und der Kontext in Betracht gezogen werden. Allein eine Bewegung oder ein Zwinkern, die verschränkten Arme, die Handhaltung von Frau Merkel....all das ist bedeutungslos, wenn diese nicht im Kontext gesehen werden. Beobachten, zuhören und wieder beobachten – das ist das Geheimnis. Erlernen kann das jeder in sehr schneller Zeit. Innerhalb eines Tages können Teilnehmer zumindest die Grundregeln beherrschen und bereits jetzt große Erfolge erzielen. Interessant wird es natürlich dann, wenn man immer weiter übt und die Techniken immer weiter verfeinert. Beim FACS Coding dauert die Analyse eines 2 Minuten Videos mehrere Stunden. Doch für das anwenden in Verhandlungen oder Gesprächen reichen die o.g. Praktiken. Denn es soll ja auch Spaß machen.

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